Pressespiegel - Die Abgeordnete im Blick der Medien

 

Schleswiger Nachrichten, 8.6.2005 

Die Rede ist von "Bürokratieabbau" und "Kostendämpfung": Die große Koalition in Kiel will mit einer Gesetzesänderung die Zahl der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten im Land nahezu halbieren _ und erntet damit bei den Frauenvertreterinnen heftigen. Protest. Deutschlands erste Gleichstellungsbeauftragte, Eva Rühmkorf, fordert in einem Gastbeitrag, dass Frauenpolitik nicht für Sparzwecke missbraucht werden dürfe.

 

"Das bricht uns das Rückgrat"

 

Kiel

Peter Höver / Margret Kiosz

 

Großes hat die große Koalition bisher noch nicht auf den Weg gebracht. Selbst Abgeordnete von CDU und SPD klagten über politische Routine und Kleinkram im Parlament. Doch jetzt geht das neue Regierungs­bündnis in Schleswig-Holstein zur Sache. Das erste "große" Ge­setzesvorhaben soll noch im Juni in erster Lesung beraten werden. Unter der Drucksachen-Nummer 16/106 läutet die Koalition - so sehen es jedenfalls Frauenpolitikerinnen – die politische Rolle rückwärts ein. Hauptamtliche Frau­enbeauftragte, seit 1991 allen Kommunen mit mehr als 10000 Einwohner gesetzlich­ vorgeschrieben, Wird es in Zu­kunft nur noch in Gemeinden mit mehr als 15000 Einwohnern geben. Was für die Union unter dem Stichwort "Bürokratieabbau" und "Kostendämpfung" läuft, ist in den Augen von Deutschlands damals erster Gleichstellungsbeauftragten, Eva Rühmkorf, schlicht "blind und blöd". Große Proteste indessen erwartet sie nicht. Die gebe es nur noch, wenn es Fragen von Schulen, Hochschulen oder Kitas gehe.

Doch im gar nicht fernen Schwerin, wo die Bundeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten tagte, formierte sich gestern erster Widerstand. Entsetzt äußerte sich die Bundessprecherin Maren Wichmann, Gleichstellungsbeauftragte in Plön, über die Pläne der Koalition. Sie bedeuteten eine "nachhaltige Schwächung der frauenpolitischen Struktu­ren vor allem im ländlichen Raum". Von derzeit 69 haupt­amtlichen Beauftragten müss­ten 33 ihren Stuhl räumen. "Das bricht uns frauenpolitisch das Rückgrat", glaubt Wichmann.

Claudia Brozek, Gleichstellungsbeauftragte im Amt Treene, verweist darauf, dass gerade im ländlichen Raum die professionelle .Gleichstellungsarbeit nicht "mit viel Begeisterung" aufgenommen­ worden ist. Inzwischen sei aber eine große Akzeptanz vorhanden, auch durch zahlreiche Projekte und Bera­tungsangebote - dies alles sieht Claudia Brozek nun in Gefahr: "Denn ehrenamtlich ist dies alles nicht aufzufangen." Ähnlich äußert sich Deborah Azzab, die halbtags als Gleich­stellungs­beauftragte in Glückstadt beschäftigt ist. Andererseits müsse man zur Kenntnis nehmen, dass der Erhalt der Stellen politisch nicht mehrheitsfähig sei. Bürgermeister Gerhard Blasberg würde Deborah Azzab ersatzweise gerne im sozialpädagogischen Bereich einsetzen.

Die Landesvorsitzende der Ar­beitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Anna Schlosser-Keichel, macht aus ihrem Frust über die Gesetzesinitiative kein Geheimnis:

"Mir tut das in der Seele weh." Und Ex-Frauenministerin Anne Lütkes (Grüne) ist empört. Frauenbeauftragte leisteten so lange hoch sinnvolle Arbeit, wie der Frauenanteil in Führungs­positionen der Verwaltung weit unterdurchschnittlich sei.

 

Beifall kam gestern zunächst nur aus der Ecke, aus der von Anfang an Front gegen die 1991 von der damaligen SPD-Alleinregierung durchgesetzten Gleichstellungsbeauftragen gemacht worden war. Bis zum  Bundesverfassungsgericht hatten die Gemeinden Rellingen und Holm (beide Kreis Pinneberg) und unterstützt durch den Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag gegen den "Eingriff in die kommunale Organisationshoheit" geklagt und im Herbst 1994 verloren. "Ein mehr an Entscheidungsfreiheit" sieht der Geschäftsführer des Gemeindetags, Jörg Bülow, der von einer "Geringschätzung der Gleichstellung" nichts wissen will. Die Aufgaben könnten genauso gut ehrenamtlich geleistet werden. So könne Geld gespart und Verwaltung vereinfacht werden, sagt Bülow und findet sich damit in bester Gesellschaft des Steuerzahlerbundes. Dass überbordende Bürokratie ausgerechnet an Gleichstellungsbeauftragten festgemacht werde, sei "eine einzige Beleidigung für alle Frauen", findet Anne Lütkes. Und im Chor mit der Sozialdemokratin Rühmkorf erinnert sie daran, "dass schwarze Gemeindevertreter schon lange versucht haben, diese Positionen auszuhöhlen und herabzuwürdigen".

In Niedersachsen, wo seit dem vergangenen Jahr eine CDU/FDP-Koalition regiert, ist die Bestellung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter neuerdings in das Belie­ben der Kommunen gestellt. In Nordrhein­Westfalen, ahnt Bundessprecherin Wichmann, werde nach dem Regierungswechsel eine ähnliche Entwicklung befürchtet. Und auch in Schleswig-Holstein war die Union in die Koalitionsverhandlungen zunächst mit der niedersächsischen Linie gestartet. Die SPD lehnte dies ebenso ab wie den Plan, die Grenze zur Hauptamtlichkeit bei einer Gemeindegröße von 20000 zu ziehen. "Jetzt haben wir einen Kompromiss", sagt AsF-Vorsitzende Schlosser-Keichel. Den trägt auch Frauenministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD), wenn auch mit unüberhörbaren Bauchgrimmen, mit: Gleichstellungsarbeit dürfe nicht zum Erliegen kommen. Nun müsse nach "effektiven Strukturen jenseits der Hauptamtlichkeit gesucht" werden.

 
zurück zur Pressespiegel-Übersicht