30.01.2008 |
Landtagsrede |
Anna Schlosser-Keichel:Soziale Investitionen sind besser als „Reparaturbetrieb“ |
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17: Entschließung zum Jugendstrafrecht (DS 16/1816 neu)
Es
ist zu hoffen, dass sich mit dem Pulverdampf der Wahlkämpfe auch die
Lautstärke der Stammtische senkt, an denen über den Umgang mit straffälligen
Kindern und Jugendlichen diskutiert wird. Die wirklichen Fachleute
‑ Vertreter des Strafvollzugs und der Polizei ebenso wie Richter
und Soziologen ‑ haben ohnehin auch in den vergangenen stürmischen
Wochen in bemerkenswerter Übereinstimmung deutlich gemacht, dass
längere und härtere Strafen die Probleme auch nicht im Ansatz lösen
können. Das war und ist auch unsere Position, die wir in der Koalition
vertreten. Mit uns wird es keine Verschärfung des Jugendstrafrechts
geben. Kinder,
so auffällig sie auch sein mögen, sind ein Fall für die Jugendhilfe
und nicht für die Justiz. Für ausländische Kriminelle gibt es bereits
die Möglichkeit der Abschiebung. Und
was den martialischen Ruf nach dem Warnschussarrest angeht: Wir haben in
Moltsfelde eine gut belegte Jugendarrestanstalt.
Die derzeit 33 Plätze werden – völlig unabhängig von der aktuellen
Diskussion – demnächst um 24 Plätze erweitert. Dazu muss man wissen,
dass ein Jugendarrest auf manchen Ersttäter und Mitläufer durchaus wie
der berühmte „Schuss vor den Bug“ wirken und zum Nachdenken anregen
kann. Für „Rädelsführer“ dagegen zählt der Arrest sozusagen als
„Ritterschlag“, den man stolz vorweisen kann. Um
eins noch einmal deutlich zu machen: Wir
dulden keine Gewalt. Nicht im öffentlichen Bereich und übrigens
auch nicht im privaten Bereich der Familie, wo viele der Jugendlichen,
über die wir heute sprechen, ihre ersten, prägenden Gewalterfahrungen
gemacht haben. Auch
Jugendliche und Heranwachsende müssen die Folgen ihrer Tat spüren
‑ und zwar unmittelbar ‑ und schnell vor dem Richter stehen.
Sie sollen die Strafe noch direkt mit ihrem Tun in Verbindung bringen.
Deshalb muss das Vorrangige
Jugendverfahren, das als „Flensburger Modell“ bundesweit
Beachtung gefunden hat, inzwischen auch ausdehnt worden ist und gute
Erfolge zeigt, in ganz Schleswig-Holstein angewendet werden. Wir sollten
im Ausschuss darüber beraten, welche unerklärlichen Widerstände es
dagegen noch gibt und wie diese schnellstens
auszuräumen sind. Wir
möchten auch künftig den
Richtern und Richterinnen die Entscheidung überlassen, ob sie
Heranwachsende nach Erwachsenenstrafrecht verurteilen oder ob sie z.B.
einen Neunzehnjährigen als so unreif einschätzen, dass Erziehungsmaßnahmen,
die beim Jugendstrafvollzug ja im Vordergrund stehen, noch Erfolg
versprechen. Der
Jugendstrafvollzug ist ja kein „Knast light“. Der Jugendstrafvollzug
hat aber viel differenziertere, für die Betroffenen oft auch ungleich
anstrengendere Möglichkeiten, an ihrer Resozialisierung
zu arbeiten. Über
das Jugendstrafvollzugsgesetz haben wir im Dezember in aller Ausführlichkeit
gesprochen. Wir haben damit das Handwerkzeug, unseren fortschrittlichen,
auf Resozialisierung ausgerichteten Jugendstrafvollzug weiter zu
verbessern. Das Gesetz ermöglicht auch neue Entwicklungen, etwa den im
vorliegenden Antrag genannten Vollzug in freien Formen. Das
Übergangsmanagement neu zu organisieren, das wird die große
Herausforderung für den Strafvollzug in den nächsten Jahren sein. Wir
werden unseren – auch finanziellen ‑ Beitrag zur Umsetzung des
neuen Jugendstrafvollzugsgesetzes leisten. In
erster Linie aber muss es darum gehen, aktiv zu werden „bevor das Kind
in den kriminellen Brunnen gefallen ist“, wie der Kollege Puls es kürzlich
ausgedrückt hat. Wir wissen, dass der Grund für den Ausbruch von
Gewalttätigkeit oft berufliche Perspektivlosigkeit, gesellschaftliche
Randständigkeit, soziale Verwahrlosung ist. Wir brauchen deshalb
Schulen, die gerechte Bildungs-
und damit Berufschancen sichern. Wir brauchen eine funktionierende Jugendhilfe für überforderte Eltern und für gefährdete
Kinder und Jugendliche. Wir brauchen die gute Zusammenarbeit aller
Akteure – Schule, Jugendhilfe, Polizei, Justiz. Damit im Ernstfall aus
Ersttätern nicht Intensivtäter werden. Die
nötigen Investitionen in diese Bereiche sind nicht nur sozial
angemessen, sondern langfristig allemal wirtschaftlicher als der
„Reparaturbetrieb“, den wir uns in Arrest und Strafvollzug leisten. Ich
beantrage Überweisung in den Innen- und Rechtsausschuss
und möchte schon jetzt anregen, sich im Rahmen der Beratung auch
die in der Pressemitteilung der Landesregierung vom 25. Januar 2008
genannten Konzepte bzw. Präventionsprojekte vorstellen zu lassen. |