7.6.2007

Landtagsrede zu TOP 8: Strafvollzug in Schleswig-Holstein, Landtagsdrucksache 16/1347

Anna Schlosser-Keichel: Soziale Integration von Straftätern muss im Vordergrund stehen

In den USA – so habe ich kürzlich gelesen – sind Gefängnisse ein blühender Wirtschaftszweig mit hohem Wachstumspotential. Es herrscht Wettbewerb um den härtesten und billigsten Strafvollzug.

Obwohl auch bei uns immer wieder der Ruf nach mehr Privatisierung und nach härteren und längeren Strafen laut wird, von „amerikanischen Verhältnissen“ im Strafvollzug sind wir in Deutschland und insbesondere in Schleswig-Holstein meilenweit entfernt.

Das belegt auch die  Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP, für die ich mich bei Minister Döring und vor allem bei seinen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanke. Grundsätzlich wird in dem vorliegenden Bericht die Leitlinie deutlich, an der sich die Politik in Schleswig-Holstein sein vielen Jahren orientiert: dass die soziale Integration von Straftätern im Vordergrund stehen muss und dass  dies gleichzeitig der beste Opferschutz ist.

Der Schwerpunkt dieser Integrationsarbeit muss in den Justizvollzugsanstalten geleistet werden. Wir haben deshalb große Anstrengungen unternommen (und tun es noch) dafür möglichst optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit einem millionenschweren, noch nicht abgeschlossenen Investitionsprogramm zur umfassenden Modernisierung, aber auch im personellen Bereich.  
Deshalb hat es anders als in fast allen übrigen Politikbereichen keine Personaleinsparungen im Justizvollzug gegeben, im Gegenteil. Die Gesamtzahl der Stellen hat sich seit dem Jahr 2002 von 841 auf 865 erhöht.  

Der vorliegende Bericht macht deutlich, welch großen Belastungen die Bediensteten im Justizvollzug ausgesetzt sind. 6-Tage-Woche, Schichtdienst, 42 % der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen leisteten im letzten Jahr Überstunden. Fast 47 %  von ihnen warten auf ihre Beförderung. Dazu kommen die Beeinträchtigungen durch die seit Jahren laufenden und andauernden Bauarbeiten.

Wir wissen aus unseren Besuchen in den JVA, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort dennoch ihre Arbeit engagiert und mit großer Motivation und Zuverlässigkeit leisten. Gerade mal fünf sind seit 2002 freiwillig aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden. Mein Dank geht an dieser Stelle an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist gut und wichtig, dass der Minister unmissverständlich deutlich macht, dass angesichts der Aufgaben und der hohen Belastung im Strafvollzug keinerlei Raum ist für Einsparungen. Mein Fraktionsvorsitzender hat sich ja auch in der gestrigen „Aktuellen Stunde“ dazu deutlich positioniert.

Zugegeben, der Tageshaftkostensatz ist mit 90,62 € im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von 83,54 € (Jahr 2005) relativ hoch. Das liegt nicht zuletzt an der erfreulich geringen Inhaftierungsquote und den folglich relativ kleinen Anstalten in Schleswig-Holstein. (Die Quote liegt bei 65 Gefangenen pro 100.000 Einwohner, der Bundesdurchschnitt bei 100). Die Kosten entstehen aber auch durch eine große und differenzierte Palette von schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen sowie Therapie- und Beratungsangeboten, zu denen auch die haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter freier Träger und nicht zuletzt die Berufsschulen einen wichtigen Beitrag leisten.
Einen Dank auch an sie alle. Sie leisten hervorragende Arbeit in einem Bereich, der nicht immer die Sympathie der Öffentlichkeit hat.

3,88 Mio € allein für Resozialisierungsmaßnahmen (das sind ohne Berücksichtigung der Personalaufwendungen 21,7 % der Gesamtaufwendungen für den Justizvollzug), das ist gut angelegtes Geld. Denn ein nachgeholter Hauptschulabschluss oder ein in der Haft erworbener Gesellen- oder Facharbeiterbrief, auch die Schuldnerberatung,  das ist für viele Gefangene die Grundvorsaussetzung,  nach der Verbüßung der Gefängnisstrafe wirklich neu starten zu können.

Gerade im Jugendvollzug sind die Bildungs-,  aber auch die Erziehungsangebote außerordentlich umfangreich und differenziert. Dies ist auch notwendig, will man den Teufelskreis von Rückfällen vermeiden. Viele der jugendlichen Straftäter kommen nicht nur ohne Schulbildung und somit ohne Berufsaussichten sondern auch lebensuntüchtig und emotional verwahrlost  im Strafvollzug an. Dass sich der Anteil der Gewaltdelikte bei den verurteilten jugendlichen Straftätern  innerhalb von zwei Jahren von 19.1 % auf 35,9 % erhöht hat und dass eine stetige Verlängerung der durchschnittlichen Straflänge zu beobachten ist, spricht eine deutliche Sprache.

Abgesehen von der beruflichen Qualifizierung ist grundsätzlich die Arbeitsplatzsituation im Vollzug von großer Bedeutung. Arbeit strukturiert den Tag und bringt Geld für Sonderwünsche, für Ausgleichszahlungen an die Opfer und für die Zeit nach der Entlassung. Auch wenn man berücksichtigt, dass lediglich etwa 85 % der Gefangenen arbeitsfähig und arbeitswillig sind, reichen die zur Verfügung stehenden 500 Beschäftigungsmöglichkeiten leider nicht aus. Bemerkenswert ist, dass es „wie im Leben draußen“ auch im Knast unbesetzte Arbeitsplätze gibt (insbesondere in den Eigenbetrieben), weil es bei den Gefangenen an der nötigen Qualifikation mangelt. Andererseits fehlen Arbeitsplätze mit einfachem Anforderungsprofil, weil Unternehmer, die früher in den Anstalten produzieren ließen, ihre Aufträge ins Ausland verlegt haben.
Hier besteht also Handlungsbedarf.
Eine neue Halle in der JVA Kiel mit 50 neuen Arbeitsplätzen, eine verstärkte Akquise und nicht zuletzt die  veränderte konjunkturelle Lage soll die Arbeitsplatzsituation im kommenden Jahr verbessern.

Ein paar Worte noch zur Gefangenenentlohnung, weil ich mich in der letzten Zeit geärgert habe über recht ruppige Forderungen nach mehr finanzieller Eigenbeteiligung der Gefangenen nicht nur an den Kosten der Gesundheitsfürsorge sondern  z.B. auch an Stromkosten usw. Die Entlohnung beträgt z.Z. exakt 10.58 € - nicht pro Stunde, sondern pro Tag. Jeder möge sich fragen, wie viel an Abzügen davon noch zumutbar ist und ob in diesen Größenordnungen der Verwaltungsaufwand wirklich vertretbar ist.

Ich habe in der Kürze der Zeit nur wenige Punkte des umfangreichen Berichts ansprechen können. Im Ausschuss wird Gelegenheit zur weiteren Beratung sein. Lassen Sie mich aber schon jetzt ein kurzes Fazit ziehen.

Sie kennen vielleicht den viel zitierten Spruch von Leo Tolstoi: „Um einen Staat zu beurteilen, muss man seine Gefängnisse von innen ansehen.“ Bei einem Blick in unsere Gefängnisse müssen wir feststellen, dass natürlich auch dort nicht alles perfekt ist. Obwohl die wirklich kritischen Vorfälle im Jahr sich an einer Hand abzählen lassen, muss uns jede Gewalttätigkeit zwischen Häftlingen und gegen Bedienstete, jeder Ausbruchsversuch, jeder Suizidversuch nachdenklich und wachsam machen.

Ich bin aber überzeugt, dass wir - sowohl was das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, was die Belange der Beschäftigten aber auch was die Interessen der Gefangenen angeht - guten Gewissens auf die Situation und die weitere Entwicklung in unseren Justizvollzugsanstalten blicken können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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