25-01-2002


Landtagsrede

Anonyme Geburten 

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Findelkinder und Kindestötung gibt es seit Menschengedenken. Auch heute, auch in unserem Sozialstaat mit seinem dichten Netz von Beratungsstellen, auch in unserer aufgeklärten, freizügigen und toleranten Gesellschaft.

Etwa 40 Neugeborene werden jährlich ausgesetzt, die meisten sind heimlich und ohne ärztliche Hilfe geboren worden. Etwa die Hälfte dieser Kinder wird tot aufgefunden. Über die Dunkelziffer, also die Zahl der Kinder, deren Leichen niemals gefunden werden, kann man nur spekulieren.

„Was sind das nur für Mütter?“ heißt es dann. Bezeichnenderweise wird nirgendwo in den Schlagzeilen die Frage nach dem Vater gestellt, der die Frau und das Kind allein gelassen hat.
Was sind das für Mütter? Es sind in der Regel sehr junge, unerfahrene Frauen, die ihre Schwangerschaft oft spät erkennen und sie danach aus Scham oder aus Angst verbergen – und sie oft auch bis zuletzt aus dem eigenen Bewusstsein verdrängen.

Sie entbinden auf öffentlichen Toiletten oder in einem Keller, verstört und in Panik. Sie bringen das Leben und die Gesundheit ihres Kindes, aber auch sich selbst in Gefahr, nur damit auf keinen Fall ihre Schwangerschaft entdeckt wird.

Es ist sicher jede Anstrengung wert, in dieser
Konfliktsituation Hilfen zu geben und nach neuen Wegen zu suchen, da das bestehende Angebot ganz offensichtlich Lücken hat.

Die so genannte anonyme Geburt, die medizinische Hilfe möglich macht, ohne die Helfer zu verpflichten, die Mutter „zu verraten“, sie also bei der Geburtsanzeige im Standesamt zu nennen, mag ein Weg sein.

Fachleute streiten allerdings darüber, ob es gerade die am meisten gefährdeten Frauen sind, die sehr jungen, die so besonders rat- und hilflosen, die diesen Weg als Lösung erkennen und ihn einschlagen.

Frau Scheicht verweist auf eine Initiative der CDU Bundestagsfraktion, aber dieser Antrag (14/4425neu) sieht gerade nicht die anonyme Geburt vor, sondern nur eine Verlängerung der Meldefrist von 1 auf 10 Wochen. Das hilft nicht sehr viel weiter.

Das Positive: Dieser CDU-Antrag war Anlass für eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, auf Bundesebene eine umfassendere Lösung zu suchen.

Dazu sind schwierige Entscheidungen zu treffen, und ich gestehe ein, dass ich auch meine Probleme bei der Abwägung habe.
- Natürlich möchte ich den Frauen und Kindern eine humane und vor allem auch risikofreie Geburt möglich machen
- Natürlich will dich den Frauen Zeit und Gelegenheit geben, nach dem traumatischen Erleben einer ungewollten und angstbesetzten Schwangerschaft und Geburt in Ruhe darüber nachzudenken, ob es nicht doch einen gemeinsamen Weg mit dem Kind geben kann
- Natürlich ist jedes einzelne Kind, das auf diese Weise zu retten ist, es wert, Kompromisse einzugehen.

Andererseits gibt es konkrete rechtliche Hürden: Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht und der UN-Kinderkonvention gibt es ein garantiertes Recht, die eigene Abstammung zu kennen.

Und die Kinder haben nicht nur das Recht, sondern – wenn sie heranwachsen – auch das konkrete Bedürfnis, ihre Herkunft zu kennen. Sie suchen ihre Wurzeln. Adoptionsberatungsstellen machen darauf aufmerksam, dass sie mehr mit Suchanfragen als mit Vermittlungen zu tun haben.
Deshalb ist es mir ein Anliegen, dass auch nach einer Änderung des Personenstandsgesetzes die dann anonym bleibenden Müttern ihren Kindern eine Nachricht, einen „Abschiedsbrief“ hinterlassen, eine Spur, einen Hinweis, (auch wenn es nicht der Name ist) zur eigenen Identität. Und es ist mir ein Anliegen, dass den Frauen in einer entsprechenden Beratung deutlich gemacht wird, wie wichtig dies für das Wohlergehen ihres dann erwachsenen Kindes ist.

Ich möchte gern darüber im Ausschuss diskutieren, wie die Rechte der Frau und die des Kindes in Einklang miteinander zu bringen sind. Und ich möchte über den aktuellen Stand der Beratungen in der Berliner Arbeitsgruppe informiert werden. Ich bitte um Überweisung in den Innen- und Rechtsausschuss.

zurück zur Übersicht der Pressemitteilungen